Kuckuck, kuckuck
ruft's aus dem Kalender
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In unserem Großraumbüro
hängt ein Kalender an der Wand. Meine Kollegin hat ihn in einem
Preisausschreiben gewonnen und jeden Monat zeigt er ein anderes Tier.
Es ist noch Juni. Deshalb schaut mich ein Kuckucksweibchen, das ein
Ei im Schnabel trägt, mit großen Augen an. Der Text unter dem Bild
verrät, dass das Weibchen pro Nest ein Ei des Wirtsvogels gegen
eines ihrer austauscht und das bei bis zu 25 Nestern pro Saison.
Erstaunlich. Der Vogel muss ein guter Beobachter sein und eine
Engelsgeduld haben. Muss sie doch abwarten, bis die eigentlichen
Nestbesitzer ausgeflogen sind, um ihr „faules“ Ei im unbewachten
Nest zu hinterlassen. Doch was mich wirklich erstaunt: der Kuckuck
spricht auf einmal zu mir. Sie hat das Ei auf den Tisch meiner
Kollegin fallen lassen und ruft unaufhörlich: „gu-kuh!“,
„gu-kuh!“, „gu-kuh!“. „Psst, raune ich. Mach doch nicht so
einen Krach!“. Ich schaue mich vorsichtig im Büro um, doch außer
mir scheint niemand den Kuckuck gehört zu haben. Meine Oma hat immer
gesagt, man müsse die Münzen in seinem Portemonnaie schütteln,
wenn man einen Kuckuck rufen hört. Dann würde sich das Geld
vermehren. Ich glaube die Mär und raschele unter dem Schreibtisch
heimlich mit meinem Portemonnaie. Da bald Monatsende ist, sollte das
mit der wundersamen Geldvermehrung auf meinem Konto klappen. Das
zerbrochene Ei sickert langsam zwischen unseren Schreibtischen durch
und kleckst auf den Boden. Ob das aus dem Teppich wieder rausgeht,
frage ich mich und merke nicht, wie sich der Kuckuck aus dem Kalender
schält. Hops, da sitzt sie plötzlich auf meinem Telefon. Ich
überlege, ob ich sie ignorieren oder direkt bei einem Psychiater
anrufen soll. Vielleicht liegt es an den fettigen Süßkartoffeln,
die ich gestern Abend gegessen habe. Ich habe kurz nicht aufgepasst,
schon wühlt der Kuckuck in meinem Salat, der frisch eingetuppert
neben meinem Computer steht. „Da sind ja gar keine Raupen im
Salat“, sagt der Kuckuck verächtlich. Ich höre weg. Bis ich einen
spitzen Schnabel in meinem Bein spüre. „Aua!“, fährt es aus mir
heraus. Meine Kollegin lugt hinter ihrem Bildschirm hervor und schaut
mich fragend an. „Hab mich nur gestoßen“, sage ich und reibe
mein Bein. Der Kuckuck ist dem Salat wieder entstiegen und schlabbert
das zerlaufene Ei vom Teppich auf. Das Problem wäre gelöst. „Was
treibst du da?“, fragt die schmatzende Kuckucksdame. „Geld
verdienen“, sage ich. „Geld verdienen? Was ist das? Kann man das
essen?“. „Nein, nicht direkt, aber wenn man Geld hat, kann man
sich etwas zu essen kaufen“. „Schmetterlingsraupen?“. „Wie,
Schmetterlingsraupen?“. „Na zum Essen“. „Igitt, nee, aber
Eier kann man kaufen“. „Eier kann ich dir auch so besorgen“.
Das wäre also geklärt. Eier besorgt mir der Kuckuck und ich muss
kein Geld mehr verdienen. Wenn es
doch bloß so einfach wäre. Ich will aber nicht nur Eier, sondern
Schokolade, Freude, Glück...die Liste nimmt kein Ende. Ob der
Kuckuck das auch alles beschaffen kann? Wahrscheinlich nicht, ich
frage trotzdem.
Leider kennt Frau Kuckuck die Sachen alle nicht,
bietet mir dafür aber an, Spinnen und sogar noch Tausendfüßer zu
besorgen. Ich lehne ab. Meine Kollegen gehen in die Mittagspause, ich
bleibe alleine im Büro. Fast alleine, der Kuckuck ist immer noch da.
„Wie bist du überhaupt aus dem Kalender gekommen?“, frage ich
nach. „Spielt doch keine Rolle, ich bin da und jetzt machen wir uns
eine lustige Zeit“, kommt es prompt zurück. „Lustige Zeit? Wie
soll die denn bitte aussehen? Ich muss doch arbeiten“. „Ich
vertausche einfach die Computermäuse, dann kann keiner mehr
arbeiten“, lacht sich der Kuckuck in die Vogelkralle. Kennt
keine Schokolade, aber Computermäuse, sehr seltsam. Während
ich noch grübele, flattert die freche Vogeldame von Schreibtisch zu
Schreibtisch und vertauscht tatsächlich die Mäuse. Hektisch räume
ich alle Mäuse an ihren richtigen Platz zurück. „Spielverderber“,
krächzt der Kuckuck und lässt einen großen Vogelschiss auf den
Teppich platschen. „Du nervst“, rutscht es mir heraus. „Ich
nerve? Du nervst dich selber. Sitzt hier herum mit einem Gesicht als
wären alle deine Eier schlecht geworden. Deshalb bin ich aus dem
Kalender gekommen. 26 Tage konnte ich mir das Elend anschauen, aber
heute war das Maß voll.“ Ich schlucke. Dann sage ich trotzig: „Ich
habe gar keine Eier, die schlecht werden können“. Stille. Der
Kuckuck kommt näher gehüpft und stupst mich sanft an. „Das weiß
ich doch“, gibt sie zurück, „das ist eben eine
Kuckuckredensart“. „Scher dich zum Kuckuck“, das sagt man als
Menschenredensart. „Jetzt wirst du aber gemein“, protestiert der
Kuckuck. „Ach, alle sollen sich zum Kuckuck scheren, die Kollegen,
die Menschen auf der Straße, in der Bahn, sollen sie doch alle
bleiben wo der Pfeffer wächst!“. „Die Redensart gefällt mir
schon besser. Aber sei doch nicht so erbost, komm wir öffnen das
Fenster und fliegen davon“. „Siehst du irgendwo Flügel an mir?“.
„Nein, an dir nicht, aber in dir. Da sehe ich Flügel, die so reich
sind an Fantasie, Lebensfreude und Mut, dass du damit einmal um die
Welt fliegen könntest“. Tränen
steigen mir in die Augen. „Du musst sie nur ausbreiten. Nur weil
sie dir einige Male gestutzt wurden, heißt das nicht, dass sie nicht
bereits wieder nachgewachsen sind“. Ein Kuckuck, der aus einem
Kalender steigt, spricht und Computermäuse kennt. Wenn es das gibt,
warum dann nicht das Fenster öffnen und es probieren? Wir stehen
nebeneinander auf dem Fensterbrett, schauen uns an und der Kuckuck
gibt das Kommando: eins, zwei, gu-kuh! Wir fliegen.