28. Juli 2015

Brief an...Peter Lustig

Lieber Peter Lustig,

du wohnst schon einige Jahre nicht mehr in deinem blauen Bauwagen. Dein Nachmieter Fritz Fuchs hält aber alles in Ordnung, du musst dir keine Sorgen machen. Hast du dir eigentlich jemals Sorgen gemacht? Ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nur, du hast dir immer Gedanken gemacht: Darüber wie etwas funktioniert, wo etwas herkommt, was man damit machen kann. Dir war nichts egal, nichts gleichgültig. Hinter allem hast du eine spannende Geschichte entdeckt. Und wenn dich deine Neugier gepackt hat, hast du alles unternommen, um sie zu stillen. Das hat dich immer in erlebnisreiche Situationen gebracht. Du hast Dinosaurierknochen im Museum erkundet, auf einem Vulkan Kaffee gekocht und Spiegeleier gebraten und dich in so manchem Labor herumgetrieben. Dabei sind dir immer gute Ideen gekommen, die du dann in deinem Garten sitzend in die Tat umgesetzt hast. Manches ist auch schief gegangen oder dein trotteliger Nachbar kam dir in die Quere, aber am Ende warst du doch immer zufrieden, auch wenn ein anderes Ergebnis als geplant herauskam. Dein Leben wirkte so einfach. Einfach im Sinne von: mit wenig an Materiellem auskommen und im Sinne von: problemlos. Du hast nicht gearbeitet. Warst du schon Rentner? Man weiß es nicht. Doch brauchtest du überhaupt Geld? Der Wohnwagen gehörte dir, das Grundstück auf dem er steht auch. Du brauchtest nichts, außer etwas zum Essen und Basteln. Du hattest Bücher, Sonne und warst immer unterwegs. Und du warst glücklich. So schien es jedenfalls immer. Glücklich immer etwas Neues entdecken zu können.
Das wünsche ich mir auch für mich. Eine Neugier, die mich so beschäftigt, dass ich alles um mich herum vergesse. Geheimnisse, denen ich auf die Spur kommen kann, seien sie auch noch so klein. Deshalb werde ich mir jetzt als erstes eine Latzhose kaufen!


Foto: falco/pixabay.com


15. Juni 2015

Bin ich Charlie?

Je suis Charlie – oder auch nicht


Der grausame Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo ist nun fünf Monate her. Vereinzelt sieht man noch die schwarzen Schilder mit der weißen Aufschrift „Je suis Charlie“ - auch in Deutschland. Der große Schreck hat sich gelegt, doch Frankreich wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Die Fragen: Wie konnte es dazu kommen? Wie kann man solche schrecklichen Ereignisse verhindern? bleiben. 

Foto: jackmac34/pixabay.com


Im Kampf gegen religiösen Fundamentalismus sollen in Frankreich nun die Schulen eine entscheidende Rolle spielen. Wenn es nach François Hollande geht „soll die Schule zu einem Refugium für Höflichkeit, Freundlichkeit und Respekt werden“. Helfen sollen dabei verschiedene Maßnahmen, z. B. die Wiedereinführung von Riten und Symbolen:

  • Das Tragen einer Schuluniform
  • Das Anbringen der Nationalfahne und Europaflagge an den Fassaden öffentlicher und privater Schulen
  • Das Aufhängen der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte im Schulgebäude
  • Die feierliche Verleihung von Urkunden zum bestandenen baccalauréat* oder brevet*
  • Das gemeinsame Singen der Nationalhymne zu feierlichen Anlässen 

Doch was genau soll damit bezweckt werden? Wenn es nach den Politikern der französischen Regierung geht, soll den Schülern so das Bewusstsein vermittelt werden, dass die Schule ein republikanischer und geschützter Ort ist. Die Verleihung von Urkunden als besondere Auszeichnung soll zudem das Gefühl von Zusammengehörigkeit schaffen. Die Einführung einer obligatorischen Staatsbürgerkunde in allen Klassen wurde für September 2015 bereits beschlossen. Damit auch die Lehrer fit sind, um mit den Schülern Fragen zu Staatsbürgerschaft und Laizismus zu diskutieren, wurde bereits ein Fortbildungsplan aufgestellt.

Sozialfall gleich Extremist?


Die Charlie Hebdo - Attentäter Saïd und Chérif Kouachi sind beide in Frankreich geboren und wurden zu islamistischen Terroristen. Als Gründe für ihre Radikalisierung werden vor allem ihre sozialen Probleme genannt: Heimaufenthalt nach dem Tod der Mutter, Gelegenheitsjobs, Obdachlosigkeit. 2006 befand sich Chérif Kouachi im Gefängnis Fleury-Mérogis in Untersuchungshaft, wo er sich einer Gruppe von Salafisten anschloss. Wären die Beiden nicht zu Terroristen geworden, wenn sie sich zur französischen Gesellschaft zugehörig gefühlt hätten und von ihr unterstützt worden wären? 

Von der Gesellschaft abgetrennt


"Ich fühle mich von Frankreich total abgeschnitten". Diese Aussage stammt von einem 15-Jährigen, der in Clichy-sous-Bois, einem Vorort von Paris (in dem die Arbeitslosigkeit bei den unter 25-Jährigen fast 35 Prozent beträgt (2011)), lebt. An diesem Statement wird deutlich wie ausgeschlossen sich Jugendliche aus sozial schwachen Verhältnissen fühlen. Umso verständlicher wird es, wenn man hört, dass der Teenager seinen Wohnort letztes Jahr nur zwei Mal verlassen hat. Auch Sozialarbeiter, die in diesen Vororten arbeiten, bestätigen: "Die Menschen hier sehen keine Lösung – sie fühlen sich komplett abgeschnitten vom Rest der Gesellschaft." Wenn sich die Menschen fühlen als würden sie in einem ganz anderen Land leben, fernab von sozialen und ökonomischen Vorteilen, ist es nicht verwunderlich, wenn einige von ihnen vom Extremismus angezogen werden. Die Direktorin einer gemeinnützigen Organisation fasst es so zusammen: "Viele der Leute hier glauben nur noch an ihre eigenen Werte, die der Republik haben für sie keinen Wert."
Sie fühlen sich verlassen von einem System, das Einigkeit und Solidarität predigt, diese aber nicht lebt.

Foto: Hochhaus in Frankreich/karosieben/pixabay.com


Probleme der Vergangenheit


Können die geplanten Maßnahmen diesem Gefühl von „Isolation“ entgegenwirken? In der Schule etwas gelehrt zu bekommen, das man im täglichen Leben weder erlebt noch fühlt, könnte eher zu noch größeren Spannungen führen. Haben sich auch die Brüder Kouachi isoliert gefühlt? Ein Absolvent der Eliteuniversität Sciences-Po Paris mit algerischen Wurzeln sieht im Falle der Brüder Kouachi eine zusätzliche Ursache: „Die Kouachi-Brüder wollten nicht die Ehre des Propheten Mohammed rächen, sondern sie wollten sich rächen für die Situation ihrer Eltern in Frankreich und auch für die Geschichte ihrer algerischen Vorfahren“. In diesem Fall hätten die geplanten Maßnahmen auch nicht geholfen.

Wie sieht es in Deutschland aus? Wären solche Maßnahmen bei uns sinnvoll?

*baccalauréat: Entspricht unserem deutschen Abitur
*brevet: Abschlusszeugnis, das nach 9 Jahren Schulpflicht auf dem Collège erlangt wird.

26. Mai 2015

Round-Kick gegen glyphosathaltige Pestizide

Glyphosathaltige Pestizide – Schädlich für Flora, Fauna und den Menschen

 

Foto: Pestizidanwendung im Reisfeld/wuzefe/pixabay.com

Die WHO hat Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Die Chemikalie ist in vielen Unkrautvernichtungsmitteln enthalten, die in Garten- und Baumärkten für jeden „Gartenfreund“ käuflich zu erwerben sind. Bei meinem letzten Besuch in einem Hoeren-Gartencenter in Bottrop fiel mir dort die große Auswahl an Pestiziden auf – allen voran das glyphosathaltige „Roundup“

Allein in Deutschland gibt es 92 Produkte, die Glyphosat enthalten. Als wäre der exzessive Gebrauch des Pestizids in der konventionellen Landwirtschaft nicht schon genug, kann jeder Hobbygärtner damit die so ungeliebten „Unkräuter“ vernichten, die das Bild des perfekten Gartens zerstören.
Wohin das führt zeigen Angaben der WHO, nach denen Glyphosat bereits in Lebensmitteln, im Wasser und in der Luft gefunden wurde.

Die toom-Baumärkte haben bereits reagiert und nehmen Pestizide, die den Wirkstoff enthalten bis Ende September 2015 aus dem Sortiment. Auch Schweizer Unternehmen gehen diesen Weg: Die Handelsketten Migros und Coop nehmen Glyphosat aus ihren Läden. Doch reicht das bei Weitem nicht. Deshalb habe ich heute die Hoeren Gartencenter GmbH per Email gebeten, glyphosathaltige Pestizide aus dem Sortiment zu verbannen. Wenn auch Ihnen in Gartencentern oder Baumärkten solche Mittel auffallen, scheuen Sie sich nicht und fordern Sie die Unternehmen auf verantwortungsvoll zu handeln und diese Pestizide nicht mehr zu verkaufen.
Für die Flora, die Fauna und die Menschen!

Nachtrag: Das von mir erwähnte Gartencenter hat bereits auf meine E-Mail geantwortet und mir mitgeteilt, dass sie glyphosathaltige Pestizide bis Mitte - Ende des Jahres komplett aus dem Sortiment nehmen. 

28. April 2015

Workers’ Memorial Day

Glosse

 Arbeit ist das ganze Leben

„In einer Welt, in der man nur noch lebt, damit man täglich roboten geht...“ sangen die Toten Hosen 1988, als sie noch keine Schmuseband à la Pur waren. Hat sich in den folgenden 27 Jahren etwas verändert?

Foto: JoaquinAranoa/pixabay.de
Nein. Es ist nur noch schlimmer geworden. Denn täglich heißt für manche Arbeitnehmer mittlerweile Montag bis Sonntag. Und wer sonntags nicht hinter der Theke steht und Brötchen verkauft, schaut vielleicht doch mal kurz im Smartphone die Arbeitsemails nach und geht trotzdem ans Telefon, obwohl der Chef an einem Samstagabend anruft. Arbeit ist alles in unserer Gesellschaft.
Die Deutschen arbeiteten 2013 durchschnittlich 40,4 Stunden pro Woche. Fast drei Stunden mehr als sie müssten. Und warum? Gibt es zu viel Arbeit für zu wenig Menschen? Angesichts der Arbeitslosenzahlen wohl kaum. Haben die Leute keine Lust auf Freizeit? Kaum zu glauben.
Doch wer Arbeit hat und mehr leistet als gefordert, der kann sich in der Anerkennung anderer sonnen bis er krebsrot wird. Wer Leistung bringt, wird geliebt. Wer faulenzt, wird geächtet. So einfach ist das. Doch woher kommt das? Wieso werden wir nicht dafür gelobt, wenn wir schonend mit unseren Ressourcen umgehen und lieber im Wald spazieren gehen, als vor lauter Arbeit den Wald nicht mehr zu sehen? Ehrlich gesagt: ich habe keinen blassen Schimmer. Ich verstehe sie nicht, diese Arbeitsroboter, die sich krumm machen, um vom Chef mit einem Lächeln bedacht zu werden. Überstunden? „Ach, die mach ich doch gerne.“, „Das muss halt sein“, „Sonst läuft der Laden nicht richtig“. Solche Sätze sind keine Seltenheit, auch weil sie mit wohlwollendem Nicken bedacht werden. Was würde passieren, wenn die buckelnde Bevölkerung Sätze zu hören bekäme wie:
„Du bist doch verrückt“ oder „Wie kann man nur so dämlich sein“? Da würden sie mit Sicherheit ganz schön dumm aus der Wäsche schauen. Einen Versuch wäre es wert, nächstes Mal, wenn der Schwager mit wehender Krawatte von der Arbeit zur Geburtstagsfeier hechtet und sich keuchend mit dringenden Telefonaten als Grund für das Zuspätkommen entschuldigt. Und vom Geburtstagskuchen bekommt er dann auch nichts mehr!

Am 28. April ist Worker's Memorial Day: Der internationale Tag des Gedenkens an Lohnarbeiter, die aufgrund von Arbeit erkrankt sind, verletzt oder getötet wurden.

14. April 2015

Psychodrama im Krimigewand

Rezension

Ingrid Elfberg: Die Frau des Polizisten


Eine Kriminalkommissarin ist trainiert, abgebrüht, clever und weiß sich zu verteidigen. Erika Ekmann ist es nicht. Jedenfalls nicht im Privatleben. Ihr Mann, der schöne Hüne mit dem blonden Haar und den stechend blauen Augen, misshandelt sie. Physisch und Psychisch. Nach jahrelanger Demütigung schafft es Erika in einer Nacht- und Nebelaktion zu entfliehen. Geplant hat sie trotzdem alles, auch ihre Versetzung auf eine Vertretungsstelle bei der Polizei in Göteborg. Dort findet sie Unterschlupf bei ihrer Freundin Anna und deren Mann Krister. Ablenkung bietet auch direkt der Fall der verschwundenen Architektin Barbro. An der Seite ihres neuen Kollegen Per beginnt ein ziemlich ergebnisloser Befragungsmarathon. Doch außer Drohungen von unzufriedenen Antragstellern, gibt es keine Spur, die Barbros Verschwinden erklären könnte. Zu einem wirklichen Problem wird das Auftauchen von Göran, Erikas Mann. Er zettelt eine Hetzkampagne gegen sie an, schafft es mit Lügen, sie bei den neuen Kollegen und Vorgesetzten in Misskredit zu bringen. Das geht soweit, dass Erika ihre Dienstwaffe abgeben muss. Und dann lauert er ihr auf.

Der zweite Roman der schwedischen Autorin Ingrid Elfberg lebt vor allem von der Beschreibung der Umgebungsstimmung und dem persönlichen Drama der Protagonistin. Der Fall um die verschwundene Architektin spielt eher eine nebengeordnete - und teilweise sogar langweilige - Rolle und bildet nur den Rahmen für die wirklich spannende Geschichte des Beziehungsdramas. Der innere und äußere Konflikt, den Erika auszutragen hat, lässt den Leser mitfühlen und Angst, um die Kommissarin verspüren. Das Psychodrama ist der eigentliche Fall.

Ingrid Elfberg
Die Frau des Polizisten
Aufbau Verlag

9,99 €

2. April 2015

Milch macht müde Männer munter, oder?

Die Milchquote macht's – nicht mehr



Seit Kurzem ist die europäische Milchquote passé. Die Regelung, die auch Kleinbauern bisher das Überleben sicherte, wurde zugunsten des Weltmarktes aufgegeben.

Kühe im Stall. (Foto: franzl34/pixabay.com)
 

50 Kühe grasen friedlich auf einer Weide. Ihre Milch verkaufte der Bauer zuletzt für 29,5 Cent/kg. Seit August 2012 liegt der Erzeugerpreis damit erstmals wieder unter der 30-Cent-Marke. Seit Monaten befindet sich der Preis auf einer Talfahrt. Eine Katastrophe, vor allem für Bauern mit einer geringen Anzahl an Milchvieh. Die laufenden Kosten lassen sich damit nur schwerlich decken. Kein Narr, wer dabei ans Aufhören denkt. Denn zusätzlich zu dem enormen Preisdruck, fällt jetzt auch noch die europäische Milchquote weg. Das seit 1984 bestehende Instrument wurde von der Europäischen Gemeinschaft eingesetzt, um den Markt vor den „Butterbergen“ und „Milchseen“ der 1980er Jahre zu schützen und somit die Preise für den Erzeuger stabil zu halten. Deutschland entschied sich damals dafür, das Modell der Produktionsquote anzuwenden. Jeder Milcherzeugerbetrieb konnte eine bestimmte Quote erwerben und war somit auf eine vorgeschriebene Produktionsmenge an Milch festgelegt. Um die Produktion ausweiten zu können, war es bisher nötig, Quote dazu zu kaufen. Durch das mehrheitliche Votum der EU-Mitgliedsstaaten wird die Milchquote nun nach 30 Jahren zu Grabe getragen. Landwirte können jetzt soviel Milch produzieren, wie sie möchten. Um einen harten Aufprall zu vermeiden, wurde die Quote bereits jährlich um ein Prozent angehoben.



Wachsen oder weichen“



Deutschland gehört neben Neuseeland, den USA, Frankreich, Australien und Irland bereits zu den Ländern mit den höchsten Milchüberschüssen. Die Überschüsse wurden bisher zu großen Teilen von Asien (mit 55% der Weltimporte, Stand 2013) aufgekauft. Die Nachfrage aus China ist seit Kurzem allerdings rückläufig. Auch die Russische Föderation, die zu den Ländern mit den höchsten Milchproduktionsdefiziten gehört, ist ein großer Abnehmer. Doch wird das aufgrund seiner Ukraine-Politik mit EU-Sanktionen belegte Russland momentan nicht mit Milch beliefert. Das übt Druck auf die Erzeugerpreise aus. Größere Milchmengen gepaart mit einer geringeren Nachfrage werden unweigerlich zu einer Senkung bei den Verbraucherpreisen führen. Die Kunden wird es freuen. Doch was ist mit den Milcherzeugern? „Der freie Markt wird einen großen Anpassungsdruck ausüben, wachsen oder weichen“, so sieht es Albert Trimborn aus Lohmar. Der staatlich geprüfte Landwirt betreibt das Bauerngut Schiefelbusch mit 60 Milchkühen. Er gehört zu den kleinen Milcherzeugerbetrieben, die den extremen Schwankungen des Weltmarktes schutzlos ausgeliefert sein werden. Um sich dagegen zu wappnen, setzt der Landwirt, wie einige andere seiner Kollegen, auf eine Direktvermarktung seiner Milch und Milchprodukte. „Wir haben schon reagiert und verarbeiten einen Teil unserer Milch auf dem Hof zu Käse und bieten Milch auf dem Hof direkt zum Kauf an. Dies werden wir in Kürze durch eine Milchzapfstelle professionalisieren. Weitere Schritte, wie das Abpacken der Milch und der Verkauf in nahen Verbrauchermärkten sind angedacht.“ Andere Höfe werden auf Wachstum setzen und die Milchviehanzahl erhöhen. Eine Tendenz dazu ist bereits sichtbar. Denn in allen Regionen Deutschlands wächst die durchschnittliche Herdengröße. Im Mai 2014 wurden in Deutschland 12,7 Millionen Rinder gehalten. Zum Jahr davor bedeutet das einen Anstieg von einem Prozent. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Höfe mit 1.000 und mehr Kühen häufiger werden. Eine Entwicklung, die der Deutsche Bauernverband wohl genauso begrüßt, wie die Entscheidung gegen die Weiterführung der Milchquote. „Für unsere Milchbauern ist dies ein denkwürdiger Termin. Der Milchmarkt wird wie in den übrigen Agrarmärkten (...) nicht mehr planwirtschaftlich verwaltet, sondern gestaltet sich durch Angebot und Nachfrage“, erläutert der Deutsche Bauernverband auf seiner Verbandswebseite. Sahen viele Verbandsmitglieder in der Milchquote doch vor allem eine Geldmelkmethode der EU. Da die Bauern Millionen Euro als Superabgabe an Brüssel zahlten und für Wachstumswünsche zusätzlich in den Kauf von mehr Quote investieren mussten. Dies betraf aber hauptsächlich Großbetriebe, denen der Bauernverband bis heute große Unterstützung zukommen lässt.



Molkerei-Multis übernehmen den Markt



Im Biobereich lässt sich die Produktion kaum erhöhen, da hier der begrenzende Faktor nicht die Quote ist, sondern die Vorgaben des Ökolandbaus. Ob aber die Preise für Bioprodukte in den Sog der günstigen konventionellen Produkte geraten, kann man heute noch nicht beantworten“, bewertet die Biomolkerei Söbbeke den Wegfall der Milchquote für den Biosektor. Die Mehrheit an Söbbeke wurde 2013 vom französischen Molkereiriesen Bongrain übernommen. Wie biologische Milchwirtschaft und die Übernahme durch einen Molkerei-Multi zusammenpassen, beschreibt die Biomolkerei Söbbeke in einer Pressmitteilung so: In den vergangenen Jahren habe ich die Familie Bongrain gut kennen und schätzen gelernt. Beide Familien respektieren uneingeschränkt die Werte und die Identität der Biomolkerei Söbbeke. Mit diesem Schritt ist die Biomolkerei Söbbeke als weiterhin selbständiges Unternehmen auf die stark wachsenden Anforderungen des Marktes bestens vorbereitet“. Denn nicht nur bei den Milchviehbetrieben, sondern auch bei den Molkereien heißt es: größer und weniger. Von 1950 bis 2015 wird sich die Anzahl der Molkereien in Deutschland von 3401 auf 70 verkleinert haben. Multinationale Unternehmen wie Friesland-Campina oder Arla bestimmen den Markt. Kleine Molkereien haben da nur noch eine Chance, wenn sie sich, wie im Falle der Upländer Bauernmolkerei, zu einer eigenen Molkerei zusammenschließen. Denn auch in der Bio-Branche scheint kein Weg an einer Marktbestimmung durch Großunternehmen vorbeizuführen. Sobald die Supermärkte, allen voran die Discounter, einen niedrigeren Preis diktieren, haben auch die Molkereien nicht viel entgegenzusetzen. Die Molkereikonzerne müssen sich gegen Konkurrenten durchsetzen. Zweimal im Jahr handeln die Konzerne neue Abnehmerpreise mit dem Einzelhandel aus. Verschiedene Faktoren beeinflussen die Verhandlungen. Die Milchpreise hängen natürlich auch von der Nachfrage der Verbraucher ab. Börsenspekulationen tragen aber unabhängig von der Nachfrage zu schwankenden Preisen bei.



Die Tierhaltung verändert sich“



Um für die Milchproduzenten eine Hilfe zu schaffen, die sie auf dem freien Markt unterstützt, hat die Europäische Union die Europäische Milchmarktbeobachtungsstelle in Leben gerufen. Aktuelle Informationen zu Milchpreisen, Produktionsmengen und -kosten sowie Entwicklungen am Weltmarkt sollen den Bauern helfen, zeitnah reagieren zu können. Trotz angekündigter Hilfestellung seitens der EU, sehen Kleinbauern den Wegfall der Milchquote und den damit verbundene Wachstumsdruck auf Milcherzeuger kritisch: „Es wird zu den selben Erscheinungen kommen wie in den anderen „freien“ Märkten. Die einen werden sich als Kostenanpasser zum Wachsen gezwungen sehen, wodurch sich die Tierhaltung verändern wird. Stallhaltung als kosteneffiziente Haltungsform wird bevorzugt werden." Valentin Thurn, Regisseur des Films Taste the Waste, äußert sich in einem Interview mit dem WDR noch kritischer: „Je größer ein Hof oder Betrieb ist, desto schwieriger wird es, nachhaltig zu produzieren. Bei Betrieben ab einer Größe von 100 oder 200 Kühen werden die Tiere vorwiegend mit Kraftfutter ernährt. Das muss aber auf dem Acker angebaut werden. Und das ist gegenüber dem Grünland für das Klima eine Katastrophe. Wenn man dagegen für das Futter Maismonokulturen anbaut oder Soja - etwa in Lateinamerika, wo auch noch Regenwald abgeholzt wird -, dann beschleunigt das die Klimaerwärmung. Deswegen ist der gegenwärtige Trend bei der Milcherzeugung absolut katastrophal für unsere Umwelt." Diese weitreichenden Konsequenzen scheint in den EU-Mitgliedsstaaten niemand in Betracht gezogen zu haben, als die Entscheidung für eine Verbannung der Milchquote aus den europäischen Ställen getroffen wurde.

30. März 2015

Krimi oder Thriller?

Stefan Ahnhem: Und morgen du


Was passiert wenn ein bekannter schwedischer Drehbuchautor einen Kriminalroman schreibt? Richtig: es wird spannend. Denn was sonst in Bildern über den Fernsehschirm flimmert, beschreibt der Autor hier detailreich mit Worten. Und morgen du ist Stefan Ahnhems erster Roman und der Beginn einer Krimiserie um den Kommissar Fabian Risk. 

 

Nach etlichen Jahren bei der Stockholmer Mordkommission, zieht es den Kommissar Fabian Risk mit seiner Familie wieder in seine Heimatstadt Helsingborg. Sein letzter Fall in Stockholm und dessen Verwicklungen zerstörten fast seine Ehe und führten zu der Rückkehr. Eine neue Stelle, eine neue Stadt, ein neues, besseres Familienleben. So wünscht es sich Risk. Doch obwohl er eigentlich noch Urlaub hat, steht seine neue Vorgesetzte Astrid Tuvesson unvermittelt vor seiner Haustür und bittet ihn um seine Hilfe. In seiner alten Schule wurde ein Mordopfer gefunden – mit abgetrennten Händen. Risk soll nur bei der Identitätsfeststellung helfen und dann wieder in seinen Urlaub zurückkehren. Doch sein Spürsinn ist geweckt und er stürzt sich in die Ermittlungen. Das zweite Opfer bestätigt den Verdacht, dass der Mörder es auf Fabians damalige Klassenkameraden abgesehen hat. Jetzt ist Fabian auch persönlich involviert. Seine Frau, seine Tochter und sein Sohn Theodor, zu dem er schon lange keinen Draht mehr hat, müssen wieder einmal ohne ihn auskommen. Der Täter ist dem Ermittlungsteam immer einen Schritt voraus. Denn die schwedischen Ermittler, die vermeintlich um das Motiv des Täters wissen, tappen in Wirklichkeit im Dunkeln. Und so geraten Fabian und seine Familie ins tödliche Visier des Täters.

Blutig und verwirrend


Stefan Ahnhem geizt nicht mit blutigen Details, perfiden Mordmethoden und verwirrenden Finten. Die Bezeichnung Kriminalroman ist etwas zu tief gegriffen. Thriller trifft es da eher. Also nichts für schwache Nerven. Das Privatleben des Kommissars hat einen angemessenen Anteil an der Geschichte. So entsteht vor dem lesenden Auge ein scharfes Bild des Kommissars, seines Charakters, Berufs- und Familienlebens. Wie bei dem ersten Roman einer Krimireihe fast schon üblich, wird die Vergangenheit des Kommissars immer wieder angerissen, ohne zu verraten was genau passiert ist. Das geschieht erst von Roman zu Roman und meistens häppchenweise. Ahnhem baut gekonnt Spannung auf und führt den Leser in die Irre. Trotzdem gibt es immer wieder Indizien, die dazu führen, dass man Schlüsse zieht von denen man sich aber nie sicher sein kann, ob sie stimmen oder nicht. Der Leser ermittelt mit und das macht das Buch zu einer kurzweiligen und mitreißenden Lektüre.

12. März 2015

Historisches am Morgen



Kennen Sie… Napoleon?

 











Es ist Mittwoch, 08.40 Uhr. In vielen deutschen Schulklassen müssen sich Schüler bereits am frühen Morgen mit Geschichte befassen: die alten Ägypter, mittelalterliche Ritter und französische Eroberer.
Doch was den Kindern nicht erspart bleibt, muss auch eine Brezelverkäuferin über sich ergehen lassen. Eine Frau vor mir am Verkaufstresen sagt urplötzlich zu der Verkäuferin: „…wie Napoleon.“ Die asiatische Frau hinter dem Tresen lächelt verständnislos. „Napoleon“. Es ist laut auf dem Bahnsteig, ich höre nur wie die Frau ein letztes Mal „Napoleon“ wiederholt und noch „Der französische Folterer“ ergänzt. Die Verkäuferin wiederholt den Namen, denkt kurz nach und sagt: „Kenne ich nicht“.

Die Brezelverkäuferin ist augenscheinlich asiatischer Herkunft. Spricht gebrochenes Deutsch. Kennt man Napoleon in Asien nicht? Und wieso französischer Folterer? 

Kennen Sie Napoleon?
Wenn nicht, dann schauen Sie doch mal hier: https://www.historicum.net/de/themen/napoleon-bonaparte/

4. März 2015

Musterschüler Deutschland?

Umwelt

Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen

Der Zustand der Umwelt in Europa verbessert sich – aber zu langsam

Gestern (02.03.2015) hat die Europäische Umweltagentur (EUA) ihre fünfjährliche Beurteilung „Die Umwelt in Europa: Zustand und Ausblick 2015“ (SOER 2015) veröffentlicht. Die darin gezogene Bilanz zeigt, dass sich ökologisch vieles zum Guten verändert hat. Leider nicht in dem Maße wie es nötig wäre.
Die Fortschritte können sich sehen lassen: In Gesamteuropa hat sich die Qualität des Trinkwassers und der Badegewässer verbessert, die Treibhausgasemissionen sind seit 1990 um 19% zurückgegangen und die von der EUA untersuchten Länder weisen eine durchschnittliche Recyclingquote von 29% (2004: 22%) auf. Was daran schlecht sein soll? Nichts. Denn der Zustand der Umwelt und die damit verbundene Lebensqualität wurden durch die Maßnahmen der europäischen Umwelt- und Klimapolitik verbessert. Allerdings reicht das nicht aus, um die gesteckten, langfristigen Umweltziele zu erreichen. Zum Beispiel wird eine Senkung der Treibhausgasemissionen um 80-95 % bis 2050 durch die aktuellen Maßnahmen nicht erreicht. Doch nicht nur für die Zukunft sieht es düster aus. In manchen Umweltbereichen gibt es auch aktuell große Probleme und sogar Verschlechterungen: die biologische Vielfalt nimmt ab, 91% der untersuchten Bestände im Mittelmeer sind überfischt und 430.000 vorzeitige Todesfälle im Jahr 2011 wurden auf Feinstaub zurückgeführt. Nicht nur die Umwelt ist bedroht, sondern auch der Mensch.

Potenzial nach oben

Neben der gesamteuropäischen Betrachtung, werden auch die Fortschritte und Herausforderungen für die einzelnen Europäische Länder beschrieben. In zwei Bereichen ist Deutschland ein Musterschüler. Es besitzt die meisten geschützten Gebiete in Europa und recyclet 50% seines Mülls. Ein Befriedigend bekommt es dafür, dass der Gasausstoß von 1990 bis 2013 um ca. 24 Prozent gesunken ist. Deutschlands Ziel, die Emissionen bis 2020 um 40% zu senken, wird wohl dennoch verfehlt. Einen blauen Brief bekommt Deutschland für die 2013 über den Grenzwerten liegenden Feinstaubemissionen und dafür, dass der Landverbrauch durch die Bebauung mit Straßen und Gebäuden bei durchschnittlich 79 Hektar pro Tag liegt.

Jetzt handeln

Die bestehenden Maßnahmen müssen effizienter werden, um die Herausforderungen – von denen die Erhaltung der Biodiversität und die Eindämmung des Klimawandels die wichtigsten sind – zu bewältigen. Dafür müssen vor allem die Produktions- und Konsumsysteme verändert werden. Laut des Berichts gelten sie als Hauptursache der ökologischen Probleme. Dr. Bruyninckx, Exekutivdirektor der EUA sagt dazu: „Bis 2050 bleiben uns noch 35 Jahre, um dafür zu sorgen, dass wir auf einem nachhaltigen Planeten leben. Dies mag als ferne Zukunft erscheinen, doch um unser Ziel zu erreichen, müssen wir jetzt handeln.“

 

Was können wir als Verbraucher tun?

In der EU werden durchschnittlich 157kg Verpackungsabfall pro Kopf produziert.
Verpackungen vermeiden: Viele Obstsorten brauchen keine zusätzliche Plastiktüte, um unbeschadet transportiert werden zu können.
2020 wird es 12 Mio. Tonnen Abfall aus elektrischer und elektronischer Ausrüstung geben

Nicht alles direkt neu kaufen: Man kann Elektrogeräte auch reparieren lassen!
Mit 42% sind Haushalte eine der Hauptquellen für Lebensmittelverschwendung.
Lebensmittel nicht verschwenden: Reste lassen sich gut für eine weitere Mahlzeit verwerten.

29. Januar 2015

685 Einträge

685 Einträge...


sollten es einmal werden. So viele Einträge, wie der Rhein an Kilometern lang ist, an der Stelle, an der ich ihn immer besucht und bewundert habe.



Tatsächlich sind es nur 36 geworden. Ziel verfehlt. Dafür war die Zeit, dann doch einfach zu kurz.
Die meisten der Einträge sind auch nicht tauglich veröffentlicht zu werden. Geben sie doch soviel preis, wie der Rhein in seiner Verschwiegenheit behält. Der eine oder andere Eintrag soll es dann aber doch schaffen, sich aus dem kühlen Nass zu befreien, um auf virtuellem Papier zu trocknen:


Ein neuer Tag. Bin mit Leben in mir wieder aufgewacht. Mein Herz schlägt, die Lunge versorgt mich mit Luft. Alles konnte ich heute morgen tun mit meinem einen Tag Leben. Entschieden habe ich mich für die Option, die zur Prämisse hat, dass ich auch morgen, übermorgen und überübermorgen mit Leben in mir aufwache. Sonst wäre meine Entscheidung vielleicht anders ausgefallen. Es ist wahllos.



6. Januar 2015

Vogelfrei

Kuckuck, kuckuck ruft's aus dem Kalender

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In unserem Großraumbüro hängt ein Kalender an der Wand. Meine Kollegin hat ihn in einem Preisausschreiben gewonnen und jeden Monat zeigt er ein anderes Tier. Es ist noch Juni. Deshalb schaut mich ein Kuckucksweibchen, das ein Ei im Schnabel trägt, mit großen Augen an. Der Text unter dem Bild verrät, dass das Weibchen pro Nest ein Ei des Wirtsvogels gegen eines ihrer austauscht und das bei bis zu 25 Nestern pro Saison. Erstaunlich. Der Vogel muss ein guter Beobachter sein und eine Engelsgeduld haben. Muss sie doch abwarten, bis die eigentlichen Nestbesitzer ausgeflogen sind, um ihr „faules“ Ei im unbewachten Nest zu hinterlassen. Doch was mich wirklich erstaunt: der Kuckuck spricht auf einmal zu mir. Sie hat das Ei auf den Tisch meiner Kollegin fallen lassen und ruft unaufhörlich: „gu-kuh!“, „gu-kuh!“, „gu-kuh!“. „Psst, raune ich. Mach doch nicht so einen Krach!“. Ich schaue mich vorsichtig im Büro um, doch außer mir scheint niemand den Kuckuck gehört zu haben. Meine Oma hat immer gesagt, man müsse die Münzen in seinem Portemonnaie schütteln, wenn man einen Kuckuck rufen hört. Dann würde sich das Geld vermehren. Ich glaube die Mär und raschele unter dem Schreibtisch heimlich mit meinem Portemonnaie. Da bald Monatsende ist, sollte das mit der wundersamen Geldvermehrung auf meinem Konto klappen. Das zerbrochene Ei sickert langsam zwischen unseren Schreibtischen durch und kleckst auf den Boden. Ob das aus dem Teppich wieder rausgeht, frage ich mich und merke nicht, wie sich der Kuckuck aus dem Kalender schält. Hops, da sitzt sie plötzlich auf meinem Telefon. Ich überlege, ob ich sie ignorieren oder direkt bei einem Psychiater anrufen soll. Vielleicht liegt es an den fettigen Süßkartoffeln, die ich gestern Abend gegessen habe. Ich habe kurz nicht aufgepasst, schon wühlt der Kuckuck in meinem Salat, der frisch eingetuppert neben meinem Computer steht. „Da sind ja gar keine Raupen im Salat“, sagt der Kuckuck verächtlich. Ich höre weg. Bis ich einen spitzen Schnabel in meinem Bein spüre. „Aua!“, fährt es aus mir heraus. Meine Kollegin lugt hinter ihrem Bildschirm hervor und schaut mich fragend an. „Hab mich nur gestoßen“, sage ich und reibe mein Bein. Der Kuckuck ist dem Salat wieder entstiegen und schlabbert das zerlaufene Ei vom Teppich auf. Das Problem wäre gelöst. „Was treibst du da?“, fragt die schmatzende Kuckucksdame. „Geld verdienen“, sage ich. „Geld verdienen? Was ist das? Kann man das essen?“. „Nein, nicht direkt, aber wenn man Geld hat, kann man sich etwas zu essen kaufen“. „Schmetterlingsraupen?“. „Wie, Schmetterlingsraupen?“. „Na zum Essen“. „Igitt, nee, aber Eier kann man kaufen“. „Eier kann ich dir auch so besorgen“. Das wäre also geklärt. Eier besorgt mir der Kuckuck und ich muss kein Geld mehr verdienen. Wenn es doch bloß so einfach wäre. Ich will aber nicht nur Eier, sondern Schokolade, Freude, Glück...die Liste nimmt kein Ende. Ob der Kuckuck das auch alles beschaffen kann? Wahrscheinlich nicht, ich frage trotzdem.
Leider kennt Frau Kuckuck die Sachen alle nicht, bietet mir dafür aber an, Spinnen und sogar noch Tausendfüßer zu besorgen. Ich lehne ab. Meine Kollegen gehen in die Mittagspause, ich bleibe alleine im Büro. Fast alleine, der Kuckuck ist immer noch da. „Wie bist du überhaupt aus dem Kalender gekommen?“, frage ich nach. „Spielt doch keine Rolle, ich bin da und jetzt machen wir uns eine lustige Zeit“, kommt es prompt zurück. „Lustige Zeit? Wie soll die denn bitte aussehen? Ich muss doch arbeiten“. „Ich vertausche einfach die Computermäuse, dann kann keiner mehr arbeiten“, lacht sich der Kuckuck in die Vogelkralle. Kennt keine Schokolade, aber Computermäuse, sehr seltsam. Während ich noch grübele, flattert die freche Vogeldame von Schreibtisch zu Schreibtisch und vertauscht tatsächlich die Mäuse. Hektisch räume ich alle Mäuse an ihren richtigen Platz zurück. „Spielverderber“, krächzt der Kuckuck und lässt einen großen Vogelschiss auf den Teppich platschen. „Du nervst“, rutscht es mir heraus. „Ich nerve? Du nervst dich selber. Sitzt hier herum mit einem Gesicht als wären alle deine Eier schlecht geworden. Deshalb bin ich aus dem Kalender gekommen. 26 Tage konnte ich mir das Elend anschauen, aber heute war das Maß voll.“ Ich schlucke. Dann sage ich trotzig: „Ich habe gar keine Eier, die schlecht werden können“. Stille. Der Kuckuck kommt näher gehüpft und stupst mich sanft an. „Das weiß ich doch“, gibt sie zurück, „das ist eben eine Kuckuckredensart“. „Scher dich zum Kuckuck“, das sagt man als Menschenredensart. „Jetzt wirst du aber gemein“, protestiert der Kuckuck. „Ach, alle sollen sich zum Kuckuck scheren, die Kollegen, die Menschen auf der Straße, in der Bahn, sollen sie doch alle bleiben wo der Pfeffer wächst!“. „Die Redensart gefällt mir schon besser. Aber sei doch nicht so erbost, komm wir öffnen das Fenster und fliegen davon“. „Siehst du irgendwo Flügel an mir?“. „Nein, an dir nicht, aber in dir. Da sehe ich Flügel, die so reich sind an Fantasie, Lebensfreude und Mut, dass du damit einmal um die Welt fliegen könntest“. Tränen steigen mir in die Augen. „Du musst sie nur ausbreiten. Nur weil sie dir einige Male gestutzt wurden, heißt das nicht, dass sie nicht bereits wieder nachgewachsen sind“. Ein Kuckuck, der aus einem Kalender steigt, spricht und Computermäuse kennt. Wenn es das gibt, warum dann nicht das Fenster öffnen und es probieren? Wir stehen nebeneinander auf dem Fensterbrett, schauen uns an und der Kuckuck gibt das Kommando: eins, zwei, gu-kuh! Wir fliegen.