Jetzt bin auch ich im Web 2.0 angekommen. Und los geht es direkt mit einem Blog. Mein Blog ist kein Food-Blog, kein Mode-Blog, kein...sondern ein Text-Blog. Alles was existiert, passiert, schmeckt, aussieht, veranstaltet wird oder einfach nur interessant ist, soll hier in Textform einen Platz bekommen. Ich möchte vor allem verschiedenste Typen von Texten produzieren, die andere interessieren, weiterhelfen oder für alle - außer mich - total nutzlos sind: Eben Wörter in verschiedenen Gewändern.
19. Juni 2015
15. Juni 2015
Bin ich Charlie?
Je suis Charlie – oder auch nicht
Der grausame Anschlag auf das
französische Satiremagazin Charlie Hebdo ist nun fünf Monate her.
Vereinzelt sieht man noch die schwarzen Schilder mit der weißen
Aufschrift „Je suis Charlie“ - auch in Deutschland. Der große
Schreck hat sich gelegt, doch Frankreich wurde in seinen Grundfesten
erschüttert. Die Fragen: Wie konnte es dazu kommen? Wie kann man
solche schrecklichen Ereignisse verhindern? bleiben.
Foto: jackmac34/pixabay.com |
Im Kampf gegen religiösen
Fundamentalismus sollen in Frankreich nun die Schulen eine
entscheidende Rolle spielen. Wenn es nach François Hollande geht
„soll die Schule zu einem Refugium für Höflichkeit,
Freundlichkeit und Respekt werden“. Helfen sollen dabei
verschiedene Maßnahmen, z. B. die Wiedereinführung von Riten und
Symbolen:
- Das Tragen einer Schuluniform
- Das Anbringen der Nationalfahne und Europaflagge an den Fassaden öffentlicher und privater Schulen
- Das Aufhängen der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte im Schulgebäude
- Die feierliche Verleihung von Urkunden zum bestandenen baccalauréat* oder brevet*
- Das gemeinsame Singen der Nationalhymne zu feierlichen Anlässen
Doch was genau soll damit bezweckt
werden? Wenn es nach den Politikern der französischen Regierung
geht, soll den Schülern so das Bewusstsein vermittelt werden, dass
die Schule ein republikanischer und geschützter Ort ist. Die
Verleihung von Urkunden als besondere Auszeichnung soll zudem das
Gefühl von Zusammengehörigkeit schaffen. Die Einführung einer
obligatorischen Staatsbürgerkunde in allen Klassen wurde für
September 2015 bereits beschlossen. Damit auch die Lehrer fit sind,
um mit den Schülern Fragen zu Staatsbürgerschaft und Laizismus zu
diskutieren, wurde bereits ein Fortbildungsplan aufgestellt.
Sozialfall gleich Extremist?
Die Charlie Hebdo - Attentäter Saïd
und Chérif Kouachi sind beide in Frankreich geboren und wurden zu
islamistischen Terroristen. Als Gründe für ihre Radikalisierung
werden vor allem ihre sozialen Probleme genannt: Heimaufenthalt nach
dem Tod der Mutter, Gelegenheitsjobs, Obdachlosigkeit. 2006 befand
sich Chérif Kouachi im Gefängnis Fleury-Mérogis in
Untersuchungshaft, wo er sich einer Gruppe von Salafisten anschloss.
Wären die Beiden nicht zu Terroristen geworden, wenn sie sich zur
französischen Gesellschaft zugehörig gefühlt hätten und von ihr
unterstützt worden wären?
Von der Gesellschaft abgetrennt
"Ich fühle mich von Frankreich total
abgeschnitten". Diese Aussage stammt von einem 15-Jährigen, der in
Clichy-sous-Bois, einem Vorort von Paris (in dem die Arbeitslosigkeit
bei den unter 25-Jährigen fast 35 Prozent beträgt (2011)), lebt. An
diesem Statement wird deutlich wie ausgeschlossen sich Jugendliche
aus sozial schwachen Verhältnissen fühlen. Umso verständlicher
wird es, wenn man hört, dass der Teenager seinen Wohnort letztes
Jahr nur zwei Mal verlassen hat. Auch Sozialarbeiter, die in diesen
Vororten arbeiten, bestätigen: "Die Menschen hier sehen keine
Lösung – sie fühlen sich komplett abgeschnitten vom Rest der
Gesellschaft." Wenn sich die Menschen fühlen als würden sie in
einem ganz anderen Land leben, fernab von sozialen und ökonomischen
Vorteilen, ist es nicht verwunderlich, wenn einige von ihnen vom
Extremismus angezogen werden. Die Direktorin einer gemeinnützigen
Organisation fasst es so zusammen: "Viele der Leute hier glauben nur
noch an ihre eigenen Werte, die der Republik haben für sie keinen
Wert."
Sie fühlen sich verlassen von einem
System, das Einigkeit und Solidarität predigt, diese aber nicht
lebt.Foto: Hochhaus in Frankreich/karosieben/pixabay.com |
Probleme der Vergangenheit
Können die geplanten Maßnahmen diesem
Gefühl von „Isolation“ entgegenwirken? In der Schule etwas
gelehrt zu bekommen, das man im täglichen Leben weder erlebt noch
fühlt, könnte eher zu noch größeren Spannungen führen. Haben
sich auch die Brüder Kouachi isoliert gefühlt? Ein Absolvent der
Eliteuniversität Sciences-Po Paris mit algerischen Wurzeln sieht im
Falle der Brüder Kouachi eine zusätzliche Ursache: „Die
Kouachi-Brüder wollten nicht die Ehre des Propheten Mohammed rächen,
sondern sie wollten sich rächen für die Situation ihrer Eltern in
Frankreich und auch für die Geschichte ihrer algerischen Vorfahren“.
In diesem Fall hätten die geplanten Maßnahmen auch nicht geholfen.
Wie sieht es in Deutschland aus? Wären
solche Maßnahmen bei uns sinnvoll?
*baccalauréat: Entspricht unserem
deutschen Abitur
*brevet: Abschlusszeugnis, das nach 9
Jahren Schulpflicht auf dem Collège erlangt wird.
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