9. Mai 2014

Absage

Schade


Eine Absage erreicht seinen Emailaccount. Es ist die siebzigste oder auch die neunzigste.
Es ist egal. Absage bleibt Absage. Der Betreff kündigt das drohende Unheil noch nicht an.  
Schade.
 
Sonst könnte er direkt auf Löschen klicken und müsste sich nicht noch den unsäglichen Sermon durchlesen. Auch bei dieser Absage fragt er sich, ob bei der vorherigen abgeschrieben wurde.
Das Unternehmen ist anders, die Absage gleich. Doch auch wenn die Betreffzeile noch keinen Aufschluss gibt, die Anrede tut es sofort: Sehr geehrter. Wenn man ihn nicht will, ist er eine geehrte Person. Wie paradox. Oder wissen die Personaler, dass es eigentlich ein Glücksfall für ihn ist, dass sie ihn nicht nehmen, weil sie selber am liebsten dort nicht arbeiten würden? Das zu glauben, macht ein gutes Gefühl, aber dass dies der Fall bei neunzig Unternehmen sein soll, ist doch eher unwahrscheinlich. 
Schade. 

Aber was stand gleich noch mal in allen Absagen? Genau, ein noch besser geeigneter Bewerber, ein noch qualifizierterer Bewerber, ein noch passenderer Bewerber kommt für die Stelle infrage. Gibt es nicht immer jemanden der besser ist als man selbst? Das war schon so in der Grundschule beim Prickeln, am Gymnasium im Lesewettbewerb und an der Hochschule beim Abschluss. The winner takes it all.  
Schade.
 
Wie gut, dass die Unternehmen seine persönliche Qualifikation damit nicht bewerten. Betonen sie jedenfalls immer. Und so bleibt er auf dem Arbeitsmarkt liegen, wie Gemüse zweiter Wahl im Supermarkt. Selbst, dass er sich billiger verkauft, hilft nicht.  
Schade. 

Nach zwei Jahren merkt er auch, wie er langsam Schimmel ansetzt und ist froh darüber. So bildet sich eine Schutzschicht um ihn, die ihm ein bisschen hilft sich nicht als ganze Person abgewertet zu fühlen. Die erste Absage ist ein Mückenstich, die zwanzigste ein Messerstich und die neunzigste bringt ihn langsam dazu selber zur Machete zu greifen. Damit schlägt er sich durch den hohlen Phrasendschungel all der Absagen, um zu dem vorzudringen, was die Absage dem Wort nach sein sollte, etwas Gesagtes. In den bisherigen Absagen hat man ihm nichts gesagt. Man hat ihm nur etwas versagt - und zwar wie ein Individuum behandelt zu werden. 
Schade.

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