1. Dezember 2016

Fremde Seele, dunkler Wald



Rezension zu „Fremde Seele, dunkler Wald“  von Reinhard Kaiser-Mühlecker

 


Jakob und Alexander sind Brüder. Aufgewachsen sind sie mit ihrer Schwester auf dem elterlichen Hof in einem österreichischen Dorf in der Nähe von Wien. Während Alexander beim Militär im Ausland stationiert ist, bewirtschaftet Jakob den Hof, der kurz vor dem Zerfall steht.

Alexander ist 30 Jahre alt und arbeitet beim Militär. Aufgrund einer Verletzung ist er auf Heimaturlaub bei seiner Familie. Eigentlich wollte er Pastor werden und ging sogar – gegen den Willen der Eltern - auf das Stiftsgymnasium. Doch sein inniger Wunsch geht nicht in Erfüllung. Er beginnt stattdessen, Medizin in Wien zu studieren. Dort verliert er sich in Partys und losen Bekanntschaften und hält es irgendwann nicht mehr aus. Er geht zum Militär und lässt sich ins Ausland versetzen. Beim Militär findet er eine Gemeinschaft, in der er sich selber wiedererkennt: Menschen, die nicht so recht etwas mit sich anzufangen wissen, die es bei der Familie nicht aushalten, aber auch das Alleinsein nicht aushalten. Bei seinem Heimaturlaub wird ihm das wieder ganz bewusst. Mit seinen Eltern gibt es nichts zu reden und Jakob scheint kein rechtes Interesse mehr an ihm zu haben. Weil er die Tage fast nur im Wirtshaus verbringt, beschließt Alexander, früher als geplant, zum Dienst zurückzukehren. Die Zeit bei der Familie verblasst. Das Campleben und seine Geliebte vertreiben Alexander die Zeit. Doch mit dem Winter und dem Ende seiner Liaison kommen Langeweile und Schwermut auf. Er wechselt ins Verteidigungsministerium nach Wien, wo er bald eine Affäre mit der Frau seines Brigadiers beginnt. Was als eine belanglose Affäre beginnt, wird für Alexander zu einer großen Herausforderung.

Jakob ist 15 und arbeitet nach seinem Hauptschulabschluss auf dem elterlichen Hof. Der Vater muss Stück für Stück den Hof verkaufen und lässt Jakob mit der Arbeit alleine, während er immer neuen Verdienstmöglichkeiten hinterherrennt. Früher sah Jakob zu seinem großen Bruder auf, doch seit Alexander zu Besuch ist, geht ihm dieser mit seinem „militärischen Gebaren“ und seinen Unternehmungen nur noch auf die Nerven. Jakob hat keine richtigen Freunde. Aber er trifft sich regelmäßig mit seinem Schulkameraden Markus, weil sie ineinander sich selbst erkennen. Außerdem verbringt er viel Zeit bei Nina, obwohl er sie gar nicht richtig mag, nichts für sie fühlt. Die Arbeit auf dem Hof wird, ob der Verkäufe, immer weniger und Jakob beginnt, für eine Leasingfirma zu arbeiten. Nina wird schwanger und sie ziehen zusammen. Jakob ist froh vom zu Grunde gehenden Hof wegzukommen. Doch nach einiger Zeit hält er es bei Frau und Kind nicht mehr aus. Mord- und Selbstmordgedanken quälen ihn. So sucht Jakob Hilfe bei Markus. Doch bevor er diesem von seiner Not erzählen kann, bringt Markus sich um. Nina und er trennen sich und Jakob erfährt, dass ihr Kind von Markus ist. Als ein schlimmes Gerücht, Markus‘ Tod betreffend, die Runde macht, wird Jakobs Leben nicht leichter und er beschließt in die Fußstapfen seines Bruders zu treten.

Die Geschichte der beiden Brüder spielt im Hier und Jetzt. Doch trotz Handy, Laptop und Krimkrise scheinen die Protagonisten in einer Zeit zu leben, in der es außer der Arbeit, keine wirkliche Ablenkung zu geben scheint. Das Leben erhält seine Struktur durch die Jahreszeiten und wird von Arbeit bestimmt. Und obwohl die Jahreszeiten wechseln, kommt es dem Leser so vor, als sei es stetig Winter. So schwer lasten die beschriebenen Gefühle von Melancholie, Depression, Leere und Sinnlosigkeit auf den Brüdern und auf dem Leser. Ohne auch nur einmal beim Namen genannt zu werden. Die seelische Not, die die beiden Brüder empfinden, scheint bei Jakob am größten zu sein. Zuerst kommt er zu der Erkenntnis gar nichts zu fühlen, keine Leidenschaft zu kennen und nie kennenzulernen. Später wandelt sich dieses Nichts in eine unbändige Wut, um als Zustand eines innerlichen Zerreißens zu enden. Alexander, der im Gegensatz zum Bruder schon erwachsen ist, ist in seiner Entwicklung weiter. Er nimmt die Sinnlosigkeit seines Lebens fast stoisch hin. Die wenigen Stunden Freizeit, die nach der Arbeit bleiben, vertreibt er sich mit Wein und Lektüre und sehnsuchtsvollen Gedanken an seine ehemalige Geliebte. Er hat gelernt zu warten.

Die Sprache des Autors ist schlicht, es gibt keine ausufernden Beschreibungen, die den Blick auf das Wesentliche verstellen. Zuweilen könnte die Handlung des Buches als langweilig beschrieben werden, aber der Leser bleibt mit einem sehr nachhaltigen Eindruck der Gefühle der Protagonisten zurück.

Reinhard Kaiser-Mühlecker
Fremde Seele, dunkler Wald
Hardcover
Preis: 20 €
ISBN: 978-3-10-002428-2

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